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Sunday, October 20, 2013

2. Samuel: Chilly Harmony



Ich hatte alles erwartet, aber dass ich von der Paganini, die wohl beste Institution für Musik und Kunst, aufgenommen werde, ging über die Grenzen meiner Vorstellung. Schliesslich wusste ich bis vor Kurzem nicht einmal, dass ich die Gabe dazu hatte.

An einem schwarzen Regentag flatterte ein Brief des Instituts ins Haus rein. Es war ein schlichtes Schreiben und unterschied sich nicht sehr von anderen Briefen, doch es sollte mein bisheriges Leben vollkommen verändern. Cello spielte ich erst seit meinem 13. Lebensjahr, das heisst viele andere Musiker, vor allem Streicher, hatten mindestens sechs Jahre mehr Erfahrung als ich. Vibrato, Tremolo und andere Techniken und Verschlierungen waren die reinste Tortur zum Üben. Meine Hände schmerzten und ich musste sogar zum Arzt, der eine Entzündung meines Handgelenkes diagnostizierte. Das brach meinen Willen noch lange nicht und nachdem die verfluchte Entzündung abgeklungen war, fing ich wieder an täglich mehrere Stunden lang zu üben, um die Zeit aufzuholen, in der ich nicht üben konnte. Ich steckte meine Seele in jedes einzelne Concerto und in jede einzelne Sonate um ihrer Schönheit gerecht zu werden. Selbst wenn meine Hände vor Schmerzen rebellierten, hörte ich nicht auf zu spielen bis mein Cello eines Tages in Einzelteile zerbrach. Es war kein Zerbrechen wie bei einem Fall aus dem zweiten Stock, nein, denn dies war der sonderbarste Moment in meinem Leben. Mein Cello löste sich vor meinen Augen in viele Fragmente auf, bündelte sich zu einer Art Energie und verschwand in meiner Brust. Ich spürte meine Seele in meinem Körper widerhallen, mein Cello war nun ein Teil von mir.



Als ich an die Paganini kam, fühlte ich mich anfangs vollkommen verloren, stellte meine Leistung aber nie in Frage. Wenn ich nicht gut genug wäre, hätte das Institut mich nie aufgenommen, deswegen kam ich mit einer ordentlichen Portion Selbstvertrauen hierher. Der Campus war riesig und erstreckte sich über mehrere hundert Quadratmeter. Nur von den Wohnanlagen war ich ein wenig enttäuscht, denn die Studenten wurden strikt in zwei Klassen geteilt. Die Besten und diejenigen aus einem Uradelsgeschlecht (ja, es gab adelige Studenten, dessen Gabe von Generation zur Generation weitervererbt wurde!) kamen automatisch in das luxuriöseste Anwesen, das dem Schloss Bellevue in Deutschland ähnelte. Wenn man dem Getratsche Glauben schenken konnte, lebte da gerade mal drei Prozent der gesamten Schülerschaft. 

What the heck?! 

Studenten aus normalen Verhältnissen kamen in gewöhnliche Wohnhäuser unter und wir müssen das Zimmer mit einem Mitstudenten teilen. Fairerweise gab man uns eine einmalige Chance mit Fleiss ein Zimmer in der Wohnanlage 2 zu sichern, zwar nicht unbedingt im Bellevue (wir nannten das Wohnhaus 04 so), aber die Wohnhäuser 05 und 06 waren auch prachtvoll. Zumindest hatten wir ein eigenes Zimmer mit Privatsphäre...Viele ambitionierte Studenten waren von der Idee angetan und würden fast alles für ein bisschen Luxus tun. Ich hingegen tat das, was ich schon immer gemacht habe, und übte für mich damit ich besser wurde. Leute kamen und gingen und im zweiten Semester lernte ich James und Étoile kennen, die zu dieser Zeit einen Namen für sich gemacht hatten.

James Sterling (viele nannten ihn einfach nur Jackie, weil dieser Name viel mehr Swag hatte als James) war wie ich im zweiten Semster und kam gerade aus einer einmonatigen Tour zurück. Er war mit Abstand der beste technisch begabte Flötist, den ich jemals gesehen habe und es kam praktisch nie vor, dass er grobe Spielfehler machte. Ausserdem steckte Jackie sehr viel Emotionen in sein Spiel, sodass er seine Zuhörer zu Tränen rühren konnte. Jeder an der Paganini wusste, dass das Institut ihn irgendwann im Verlauf des Jahres umquartieren würde, schliesslich verdiente der beste Flötist eine bessere Unterkunft als das Wohnhaus 01.

Étoile Dupont (ebenfalls im zweiten Semester) hingegen war wie eine Achterbahn. Als Solistin konnte sie gute Momente haben, wie die meisten von uns, aber die Tendenz zur Downside war bei ihr wesentlich grösser. Ausserdem schien sie nur wenige Stücke besonders gut auf der Viola spielen zu können und war unter dem Strich schlechter als viele andere Solisten.

"Du hast Talent, Cheshyre", meinte Jackie, als er mir eines Tages beim Üben zuhörte. Während dem zweiten Semester hatte der Flötist einfach so aus heiterem Himmel beschlossen, dass wir nun Rivalen waren und das obwohl er Solist war und ich mich auf die Rolle eines Basses aus einem Orchester konzentrierte. Gut, ich spielte ab und zu gerne Solo Cello, doch das auch nur um meine Fertigkeiten zu üben. Als ich Jackie das eines Tages klar gemacht hatte, hörte er sofort mit dem Rivalitätsdenken auf und wir wurden sozusagen von einem Tag auf den anderen Freunde. Jeden Montag, sowie Mittwoch, Nachmittag sassen Jackie und ich im E02 und versuchten allerlei Stücke von klassischen Künstlern in die Moderne umzuschreiben. Es kam auch mal vor, dass wir ein Werk vollkommen zerstörten und uns totlachten bevor wir realisierten, was wir eigentlich getan hatten. Wenn unser Klassikprofessor uns dabei erwischt hätte, müssten wir wahrscheinlich bis ins vierte Semester nachsitzen.

"Und du hast wirklich nur fünf Jahre Cello gespielt?", fragte Jackie und war sichtlich erstaunt, wie ich den dritten Satz von Beethovens Pathetique interpretiert hatte. Ich nickte und freute mich sehr von ihm anerkannt zu werden, denn man wird an der Paganini nicht oft gelobt und schon gar nicht von einem Mitstudenten.

"Weil ich so spät angefangen habe, musste ich auch besonders viel Zeit darin investieren, um die sechs Jahren gut zu machen", erklärte ich, "Aber ich habe immer noch viel zu lernen."
"Das haben wir alle. Hey, wieso gründen wir kein Orchester?"

Jackies Augen begannen zu funkeln und zu glitzern wie bei einem kleinen Mädchen. Ich war völlig von der Idee überrannt, doch bevor ich irgendetwas sagen konnte, platzte ein Mädchen mit zwei dicken Zöpfen und roten Pausbacken ins Übungszimmer rein.

"Weil wir zu wenig sind", schaltete sich Étoile ein, nahm sich einen Stuhl, der im Raum stand, und setzte sich neben mich. Étoile tauchte meistens wie aus dem Nichts auf und manchmal fragten Jackie und ich uns wie sie das anstellte. Ausserdem schien sie immer zu wissen, über was wir sprachen, wie in diesem Fall.

"Estella, du weisst, dass meine Idee grandios ist. Und wenn wir kein Orchester zusammen trommeln können, werden wir eine grössere Kammermusikgruppe. Hauptsache wir unternehmen etwas, denn Solo zu spielen ist nach einiger Zeit ätzend. Als Solist ist der Konkurrenzkampf hier auch ein Witz."

"Hör auf mich Estella zu nennen", schnaubte Étoile, "Du weisst, dass ich den Namen hasse und was meinst du damit, dass das Solist sein ein Witz ist?"

"Entweder bist du der Beste oder du bist nichts", erklärte ich und Jackie nickte bloss, "Ein Mittelding gibt es nicht und wenn du als Solist in die Wohnanlage 2 oder was ich wohin willst, hast du kaum Chancen. Daher ist es von Vorteil Kammergruppen oder Orchestrae zu gründen."

Jackie grinste noch breiter als zuvor und schaukelte aufgeregt auf seinem Stuhl herum. Er war Feuer und Flamme ein eigenes Orchester ins Leben zu rufen. Doch leider musste ich, bezüglich der Mitglieder, Étoile Recht geben. Es wird verdammt schwierig gute Leute zu finden und noch schwieriger wird es eine gute Synergie zueinander aufzubauen.

"Wisst ihr was? Bis Samstag werde ich genug Leute zusammen haben. Ihr werdet es sehen", voller Tatendrang sprang Jackie auf und stürmte los. Étoile und ich sassen perplex da und ehe wir begriffen, was los war, waren wir dabei eine grössere Musikgruppe zu bilden. Das war am Mittwoch.

Am Freitag, als ich vom Cellounterricht kam, bekam ich eine SMS von Jackie, der mich zum Wohnheim bestellte. Er meinte, ich solle sofort kommen, sonst wäre alles umsonst gewesen. Da es nach einem dringenden Notfall klang, beeilte ich mich, rannte die Treppe der E02 runter und krachte mit vollem Karacho in jemanden rein. Wir fielen beide zu Boden und peinlicherweise lag ich beim Sturz auf ihr drauf. Ja, die Person war ein Mädchen und es hatte bunte Farbklekse im Gesicht. Sie war eine Künstlerin! 

"Es tut mir furchtbar Leid", ich stand sofort auf und half ihr hoch. Sie zitterte am ganzen Körper. War ich etwa dafür verantwortlich? Plötzlich kamen in mir die schlimmsten Vorahnungen hoch und gleichzeitig versuchte ich mir einzureden nicht in Panik auszubrechen. Künstler waren seltsame Gestalten und praktisch alle von ihnen mieden jeden Kontakt mit uns Musikern. Daher kursierten auch Gerüchte, dass die Künstler uns mit ihren Werken und Monstern angreifen würden, wenn sie uns über den Weg laufen. Doch in diesem Fall dachte ich gar nicht an die Schauermärchen, denn ich hatte schliesslich ein Mädchen umgerempelt.

"Ist alles okay? Hast du dir weh getan?"

Das Mädchen sah mich mit grossen Kulleraugen an und fing plötzlich an zu weinen. Tief in mir verspürte ich Panik, doch irgendetwas leitete mich dazu sie zu trösten und ich legte meine Hand aufmunternd auf ihren Kopf.

"Nicht weinen. Egal, was los ist, es wird alles wieder gut."

Sie schluchzte weiter und vergrub ihr Gesicht in meiner Brust. Ihre Tränen sickerten durch mein Hemd und wahrscheinlich würden die Farben auch auf meiner Kleidung abfärben. 

"Hör auf zu weinen", meinte ich und nahm sie in die Arme. Ihre Zerbrechlichkeit tat mir im Herzen weh, ich wollte für sie da sein. Obwohl ich nicht einmal ihren Namen kannte, wollte ich sie beschützen und der Fels in der Brandung sein, wenn sie ihn benötigte. Ich spürte eine Art Nicken und sie drückte sich fester an mich.

"Du kannst immer zu mir kommen, wenn du jemanden brauchst."


Mit Verspätung kam ich bei Jackie an und der schien anfangs nicht besonders erfreut zu sein, doch sein Ärger verflog schnell. Seine Aufregung hatte die Oberhand über ihn gewonnen und als ich in sein Zimmer eintrat, staunte ich nicht schlecht wie viele Leute er innerhalb eines Tages von seinem Vorhaben überzeugen konnte.

"Da staunst du was?", grinste er breit und war stolz auf sich. Zwölf Leute waren wir insgesamt. Er hatte es geschafft neun zusammenzutrommeln und darunter hatten wir auch bekannte Gesichter:
Matthieu Goodlife war ein hervorragender Begleit-Violinist, doch einige meinten er hätte ursprünglich Piano Solo gespielt. Jedenfalls war seine Mechanik als zweite Geige unvergleichbar und sein Verständnis für die Vivaldis Werke liess das Herz unseres Barockprofessors höher schlagen.

Julian Flambert, auch ein Cellist (spielte unter anderem auch Fagott, wie ich hörte), wurde scheinbar auch von Jackies Idee angetan. Hmm... Hätte nicht gedacht, dass der Flowerboy da mit machen würde.

Neben Jackie sass ein kleiner Junge, der nervös auf seinem Stuhl hin und her rutschte und seinen Blick stehts auf den Flötisten hatte. Jeder, der Jackie persönlich kannte, musste von dem Flötensolisten Roland Rust gehört haben, denn die beiden waren Jugendfreunde und spielten zusammen die wunderschönsten Duette.

Ansonsten war noch Étoile da und den Rest kannte nicht ich mit Vornament. 

"Wir werden eine grössere Kammermusik mit Solisten, ersten und zweiten Stimmen und allem drum und dran gründen."

"Allem drum und dran, klingt ja sehr professionell", lachte ein Mädchen mit kurzen blonden Haaren.

"Tz, Marie, ich bin am Reden", Jackie wurde plötzlich ganz ernst und uns wurde klar, dass das kein Spass mehr war, zumindest wenn es um das Organisatorische ging. Jackie wollte etwas Grosses erreichen.

"Ich habe euch ausgesucht, weil ihr einerseits mechanisch sehr begabt seid und gleichzeitig bin ich zuversichtlich, dass wir eine gute Synergie zueinander haben werden. Mein Ziel ist es ein professioneller Flötist zu werden und zwar mit einem Orchester, das ich auf die Beine gestellt habe, und ihr habt die Chance dabei zu sein."

"Professionell Spielen?", Étoile zog die Augenbrauen hoch. Es war ihr anzusehen, dass sie starke Zweifel an unserem Erfolg hatte. 

"Die meisten von uns sind gerade mal im zweiten Semester und viele andere Gruppen da draussen, die vielleicht semiprofessionell spielen, können uns mit ihrer Performance locker an die Wand klatschen. Nur weil du dir in nationalen Turnieren bereits einen Namen gemacht hast..."

"Ich habe mir einen Namen gemacht", unterbrach Jackie sie und blieb dabei ziemlich gelassen, "Matt auch. Roland ist mein Duettpartner und wir haben zusammen bereits Amateurturniere gewonnen. Marie und Charlie sind als Achtjährige im Nachbarland herum gereist, um an Veranstaltungen teilzunehmen und hatten sogar Erfolg. Eliane wird in der Amateurszene als Solistin gefürchtet. Wir haben Potential, Étoile, sogar genug um in kürzester Zeit die Besten zu werden."

Alle Blicke waren auf Jackie gerichtet und keiner traute sich irgendetwas zu sagen. Auch Étoile war verstummt. Ich aber bebte vor Aufregung am ganzen Körper, denn egal wie verrückt Jackies Idee auch klang, ich hatte ein gutes Gefühl dabei. 

"Wann sind die Proben?", fragte ich schliesslich und sah das breite Grinsen unseres Flötisten.


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