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Sunday, October 27, 2013

3. Damien: Übersehenes Talent

Jeder Mensch hat eine Fassade, hinter der er sich versteckt und das galt auch für mich. Ich spielte den Leuten was vor, lächelte freundlich und schon waren sie zufrieden. Lächerlich, einfach nur lächerlich.
Paps war ein Geigenbauer, der aufgrund einer siebenköpfigen Familie verarmte und, als ich sieben Jahre alt war, Selbstmord begann. Mutter war eine gewöhnliche Grundschullehrerin, die meine Geschwister und mich mit Mühe und Not durch die Armut brachte. Im Grunde genommen waren wir immer noch arm, aber es fiel ihr leichter zwei Münder zu füttern als Fünf. Meine drei älteren Geschwister kenne ich nicht wirklich und ehrlich gesagt muss ich das auch nicht. Elise, meine Schwester mit der ich aufwuchs, erzählte mir, dass die Älteren das Haus freiwillig verliessen um Mutter keine Last zu sein. Immer wenn Elise davon erzählte, sah sie so traurig aus, während ich keinerlei Verbindungen zu meinen drei älteren Geschwister herstellen konnte. Irgendwie traurig, wenn man das aus einer anderen Perspektive betrachtete.


Mutter hasste die Geige, nachdem Paps sich getötet hatte, und gegen ihren Willen habe ich dieses Instrument spielen gelernt. Zuhause lagen ein paar verstaubte Violinen herum und da niemand sie brauchte, hatte ich sie als Kind aufgegriffen und mit zur Schule genommen. Eine Lehrerin sah mich damit und brachte mir die Grundhaltung bei. Den Rest musste ich mir selber beibringen und es kam einigermassen gut raus. Hey, die Geige ist mein Hauptinstrument und es ist verdammt einfach die Zuhörer zu beeindrucken. Jeder, der mich spielen hörte, war zur Tränen gerührt. Mutter war nicht begeistert, als Elise, die Petze, mich verpfiffen hatte, denn gleichzeitig hatte ich Klavierunterricht von unserer Nachbarin bekommen. Ich konnte am Schluss das dämliche Klavier ja spielen, ganz gut sogar, aber nichts war mit der Schönheit der Geige vergleichbar. Mutter versuchte anfangs alle Instrumente aus dem Haus zu schaffen, doch es war zu spät. Meine Partnerin würde immer wieder zu mir zurückkehren. Egal wie oft Mutter versuchte uns zu trennen, sie würde es nicht schaffen. Elise weinte oft, weil ich ein Problem für die Familie darstellte. Armes Schwesterherz, aber so war das Leben. Mutter und Elise würden mich nie verstehen, diese stümperhaften Ignoranten.


Mit 15 bekam ich einen Brief von der Paganini und konnte endlich aus dem Drecksloch raus. Elise war 17 Jahre alt geworden und hatte vor knapp einem halben Jahr den Verstand verloren. Niemand wusste genau, wie es dazu kam, denn sie war ein anständiges Mädchen, ging nie aus, war meistens Zuhause und sah nach ihrem Brüderchen. Ich tat, was ich am besten konnte und das war auf meiner Geige spielen, wenn ich nicht zum Klavierunterricht musste. Mutter hatte es mittlerweile aufgegeben mich von meiner Passion zu trennen und war meistens bis spät am Abend in der Schule um mein Spiel nicht hören zu müssen. Naja, ich verliess das Haus meines toten Vaters, ohne mich einmal umzudrehen.

Die Reise mit dem Bus zum Institut war lang und ermüdend und abgesehen von mir fuhren zwei weitere Passagiere mit. Der erste Mitfahrer war ein Mädchen, asiatischer Abstammung. Sie sass in der vordersten Reihe. Sie bewegte sich eine ganze Weile nicht und schien zu schlafen. Zwei Reihen vor mir, in der hinteren Hälfte des Busses, sass der zweite Passagier, ein Junge mit Hornbrille. Er sah mehr nach einem Physikstreber aus als nach einem Musiker, aber ich sollte nicht urteilen. Langeweile war schon immer mein ärgster Feind gewesen, deswegen suchte ich mir eine Beschäftigung bis der Bus sein Ziel erreichte. Fingerübungen hielten mich meistens bei Laune, also stellte ich mir vor, wie ich auf meiner Geige spielte und übte ein paar Techniken auf meinem linken Arm, als mich jemand von der Seite ansprach.

"Was spielst du?"

Es war dieser Streber und ich sah ihn für einen Moment nur verwirrt an. Was wollte er von mir?

"Das Stück, das du im Kopf laufen hast. Wie heisst es?"

"Paganinis Caprice No. 24", antwortete ich und er gab mir einen ungläubigen Blick.

"Paganinis Caprice? Nie im Leben."

"Wieso?"

"Du bist wahrscheinlich nicht viel älter als ich und willst eine Caprice spielen, die sogar die besten Musiker nicht richtig spielen können? Ich bitte dich."

Ich mochte diesen Besserwisser nicht, aber irgendetwas in mir meinte, dass er mir eines Tages von Nutzen sein würde. Nur deswegen hielt ich mein Temperament zurück.

"Bist du ein Paganini?", fragte ich ihn, woraufhin er nickte. Er schien nicht überrascht zu sein, denn wahrscheinlich hegte er die gleiche Vermutung über mich.

"Du auch?"

"Ja. Welches Instrument spielst du?"

"Gitarre. Ich schreibe meine eigenen Songs und singe auch dazu."

"Musst ja ein aussergewöhnlicher Gitarrist sein."

"Kann sein. Und dich haben sie wahrscheinlich nur genommen, weil du Paganinis Caprice No. 24 spielen kannst."

Die abfällige Bemerkung war mir nicht entgangen und ich wollte dem Typen am liebsten das Maul stopfen. Ich spürte die Seele meiner Violine in meiner Brust widerhallen. Sie wollte raus und ich liess meinen Ärger freien Lauf, um dem Typen zu zeigen, wer hier das sagen hatte. Ich zog einen silbernen Faden aus meiner Schläfe und meine schneeweisse Geige manifestierte sich in meinen Händen und am liebsten würde ich den Spasti an die Wand spielen. Doch wir spielten keinen Ton, nein, sondern brachen plötzlich in Gelächter aus. Es war ein herzliches Lachen und solange ich mich erinnern konnte, habe ich so noch nie lachen müssen. Wie eigenartig, aber es war befreiend. Dem Besserwisser rutschte die Hornbrille bis zur Nasenspitze runter.
"Wie heisst du?", fragte er und rückte seine Brille zurecht. Auch ich hatte mich mittlerweile wieder beruhigt und liess meine Geige verschwinden.

"Damian Faker. Und du bist?"

"André Pigeonet."

Man kann sagen, dass es Zufall war, aber eine höhere Macht wollte, dass Pigeonet und ich uns treffen. Wir verstanden uns auf dem Rest der Fahrt ziemlich gut, trotz meiner anfänglichen Zweifel, denn auch er war eine Art Genius. Ich hatte das im Bauchgefühl. 


Das Institut war riesig, was mich aber wenig beeindruckte. Hier und da waren Studenten. Einige, die für sich übten, andere, die Etüden analysierten, und Kunststudenten, die im Freien malten. Im Grunde unterschied das Institut sich nicht viel von anderen Kunst- und Musikhochschulen. Ich hatte mir das Ganze ein wenig... wie soll ich sagen... spektakulärer vorgestellt. Pigeonet schien meine Enttäuschung in meinem Gesicht zu sehen, sagte aber nichts, wofür ich ihm dankbar war. Unser erster Halt war die Administration, dort mussten wir allerlei Anmeldungen und Organisatorisches erledigen. Aber Scheiss auf die Details. Pigeonet und ich bekamen unsere Stundenpläne und den Schlüssel für das Zimmer im Wohnhaus, in dem wir untergebracht waren. Wohnanlage 1... als ob man die Studentenschaft in Schichten unterteilen würde... Wie lächerlich.
Wir wollten uns auch sofort auf den Weg machen um uns einzurichten, als ich ein allzu bekanntes Gesicht sah, das uns entgegen kam. Ich konnte mein Grinsen kaum verkneifen, während das Gesicht von einer Minute auf die andere furchtbar blass wurde. Das war nur allzu komisch. 

"James!"

Sofort nahm die gross gewachsene Brillenschlange seine Beine in die Hand und suchte das Weite, woraufhin ich laut los lachen musste. Herrlich, das war einfach nur herrlich. Pigeonet sah mich lediglich verwirrt an und verlangte sozusagen nach einer Erklärung.

"War das nicht James Sterling?"

"In Person", lachte ich immer noch, "Ich glaube es einfach nicht, dass er mir immer noch aus dem Weg geht."

Die ganze Nation kannte James und die Familie Sterling hatte bereits etwas Prestige an sich. Beamtenposten, angesehene Abgänger der Paganini, eine entferntere Verwandte von James hatte sogar in ein Adelsgeschlecht eingeheiratet. Doch jede Familie hatte ein schwarzes Schaf in seiner Mitte und bei unserem grandiosen Flötisten war es seine Tante. Im Vergleich zu ihren vier Geschwistern wurde sie ohne eine Gabe geboren und war in den Augen ihrer Eltern nichts wert, während ihr ältester Bruder, James' Vater, mit Liebe überhäuft wurde. Als Jugendliche verliess sie das Elternhaus und verliebte sich in einen nutzlosen, selbstmordgefährdeten Geigenbauer mit dem sie in Armut leben sollte. Kommt euch diese Geschichte bekannt vor? James' Tante war meine Mutter, was mich zu seinem Cousin machte. Ich traf ihn, als ich sechs Jahre alt war, zum Weihnachtsessen bei unseren Grosseltern. Es war das einzige Familienfest, an dem meine Familie nur widerwillig teilnahm, nur um zu sehen, wie mein Onkel das Oberhaupt der Familie Sterling wurde. Wie lächerlich. James war damals acht und wurde damals schon mit Lob überschüttet, weil er ja ach so talentiert und begabt war auf der Flöte. Ich hingegen spielte gerade mal zwei Jahren aus Zwang Klavier und am zweiten Weihnachtstag wollte der verwöhnte Knirps, dass ich vor allen Anwesenden etwas vorspielte. Ich stellte mich eine ganze Zeit lang quer, weil ich das blöde Klavier hasste, spielte am Schluss aber doch noch, nur um meine Ruhe zu haben. Mein Spiel liess James erstarren und die Erwachsenen schienen sich nicht mehr daran erinnern zu können, wenn man sie danach fragte. Seitdem wollte der verzogene Herrensohn nicht, dass ich an einem Familienfest teilnehme.

Pigeonet staunte nicht schlecht und teilte sogar meine Ansichten. Die bestehenden Kinderstars wurden einfach nur überbewertet und die Zukunft gehörte denen, die bisher ignoriert und links liegen gelassen wurden.

"Bands, Kammermusik, Orchester, all diese Zusammensetzungen dienen am Schluss dazu den Star zu unterstützen und das ist immer noch der Solist", ich konnte das immer wieder sagen und Pigeonet nickte zustimmend.

"Als Erstsemester ist es einfacher sich mit anderen zusammen zutun, weil man alleine keine Chance hat."
"Wenn du ein Sterling bist, stehen dir die Türen sowieso offen", unterbrach ich ihn. Wir sassen in unserem Zimmer und überlegten uns einen Weg, wie wir am schnellsten mit den Besten der Besten konkurrieren könnten. Wir waren Genien; wenn Pigeonet auf seiner Gitarre spielte und dazu sang, bekam ich eine Gänsehaut! Und ich war in der Lage zwei Instrumente auf einem hohen Level zu spielen.

"Gründen wir vorübergehend eine Band", schlug Pigeonet vor, "Aber gleichzeitig konzentrieren wir uns auf unser Soloperformance, vor allem weil du kein Mainpiano bist."

"Klingt gut", meinte ich und ich konnte mich sogar damit arrangieren. Als Pianist spielte es für mich keine Rolle, wenn ich nur eine Begleitung spielte, aber als Violinist, war ich ein Eigenbrötler. Wer mir meine Solo Stimme streitig machen wollte, kriegte meinen Zorn zu spüren.


Meine erste Woche begann ja wirklich blendend und ich hatte irgendwie das dumpfe Gefühl, dass James seine Finger im Spiel hatte. Denn im Rhythmik-Unterricht legte mir der Prof eine Caprice, die sicher nicht für Erstsemestrige gedacht war, vor und verlangte von mir sie ab Blatt zu spielen. Zehn Minuten hatte ich als Vorbereitung. Ab Blatt eine Caprice spielen! Man musste viele Tagen vielleicht sogar Wochen üben um die Kniffe überhaupt überwinden zu können! Zur Überraschung aller musste ich lachen. Der Prof sah sichtlich verwirrt aus und verlangte von mir eine Erklärung.

"Ich brauche keine zehn Minuten zum Vorbereiten", meinte ich und holte meine Geige hervor und fing an zu spielen. Allen Anwesenden blieb der Mund offen, denn sicher hätte niemand gedacht, dass ich Paganinis Caprice No. 24 bereits gelernt und perfekt spielen konnte. Meine Finger huschten über den Steg, mein Bogen sprang federleicht hin und her, es sah so aus, als ob es eine Leichtigkeit wäre Paganinis Caprice zu spielen. Die Seele meiner Geige hallte im ganzen Raum wieder und irgendwann war ich so in mein Spiel vertieft, dass ich nicht mehr mitbekam, was um mich herum geschah. Etwas Kaltes küsste mir auf die Wange und verschwand so wie es kam. Als ich die Caprice zu Ende gespielt hatte, sassen meine Mitstudenten mit weit aufgerissenen Augen in ihren Stühlen und der Prof sah wie von Medusa in Stein verwandelt aus. Unterhaltsam, was eine Caprice anstellen konnte, wenn man sie eine Weile nicht gespielt hatte.

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