Wo ist meine Uni? Moment, war
ich überhaupt unterwegs zu einer Vorlesung? Ich konnte mich nicht erinnern sondern
lief kopflos durch die Altstadt. Ich dachte über meinen normalen Tagesablauf
und über das, was ich noch zu tun hatte, nach, als ich mit Entsetzen
feststellen musste, dass ich wieder nicht in Sankt Gallen war. Zum Glück war
ich nicht wie letztes Mal irgendwo in der Toskana, sondern in einer grösseren
Stadt Europas.
Aux
Champs-Élysées...
„Nein, bitte, sagt mir nicht,
dass ich in Paris bin!“, doch beim genaueren Betrachten der Umgebung wurde
meine Befürchtung wahr. Ich erblickte den Eiffelturm und auch den Triumphbogen
konnte ich von meinem Standpunkt aus sehen.
Aux
Champs-Élysées...
Ich befand mich eindeutig in
Paris.
Au soleil ou
sous la pluie, à midi ou à minuit...
Ich seufzte und war genervt von
der Willkür Fortunas. Mich einfach irgendwo auf der Welt zu platzieren, obwohl ich
meinen schulischen Tätigkeiten nachkommen musste, war der Gipfel ihrer
Unverschämtheiten. Andererseits war man nicht jeden Tag in Paris und deshalb
beschloss ich, die Champs-Élysées so lange entlang zu spazieren, bis ich den
Eiffelturm erreichen würde. Doch leider kam alles wieder anders als geplant,
denn auf der anderen Strassenseite stand ein junger Mann, den ich von
irgendwoher zu kennen schien. Er sah nicht schlecht und ziemlich südländisch
aus. Ob er Italiener oder Spanier war? Eigentlich waren Latinos nicht mein Typ,
aber irgendwie hatte er etwas Vertrautes an sich, fast so, als ob ich ihn zuvor
schon mal gesehen hätte. Ich dachte nicht lange nach, überquerte die Strasse
und ging direkt auf den Latino zu, der sich nicht von der Stelle rührte, jedoch
ein wenig verloren um sich sah. Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen,
um ihn wie einen kleinen Jungen, der sich verlaufen hatte, zu trösten. Das war
eine bescheuerte Idee, denn ich hätte nie den Mut gehabt, einen Wildfremden aus
heiterem Himmel zu umarmen. Von vielen peinlichen Möglichkeiten, die
Aufmerksamkeit eines bestimmten Menschen zu bekommen, wie zum Beispiel die
Person zu Boden zu reissen oder sie mit heissem Kaffee zu überschütten, tat ich
etwas, wofür ich mich ewig hassen könnte: Wie von einem Marionettenspieler gesteuert,
küsste ich den südländischen Fremden auf die Wange und liess ihn verdutzter
dastehen, als er bereits war. Er hätte schockiert, angeekelt oder zumindest
verwirrt reagieren sollen, weil eine Verrückte ihn gerade geküsst hatte, doch
das alles blieb zu meiner Verwunderung aus. Der Latino fing plötzlich an zu
lächeln und sah mich wie eine wiedergefundene, verschollene Freundin an. Die
Freude in seinem Gesicht war ansteckend und sein Lachen so warm und so
vertraut. Seine dunkelbraunen Augen, sein dichtes, dunkles Haar, ... ich liebte
die Sommersprossen auf seiner Nase.
Il y a tout ce
que vous voulez aux Champs-Élysées
Moment mal, Sommersprossen? Paris
stürzte wortwörtlich zusammen und wurde, wie der Südländer, von der Dunkelheit
verschluckt. Ich wachte auf und versuchte mich an den Traum zu erinnern. Noch immer
konnte ich nicht fassen, dass ich gerade einen international bekannten
Rennfahrer geküsst hatte.
„Hast du einen Alptraum gehabt?“
Huh? Erschrocken drehte ich mich
um und sah direkt in die grüngesprenkelten braunen Augen des personifizierten Teufels.
Mir fehlten buchstäblich die Worte. Und wieso um Himmels Willen lag er im
selben Bett wie ich?
„Du schläfst noch“, erklärte er
und wischte mir den kalten Schweiss von der Stirn. Diese liebevolle und
fürsorgliche Seite von ihm kannte ich gar nicht, das machte mich einen Moment
lang sprachlos. Was auch nicht weiter verwunderlich war,, schliesslich hatten
wir uns damals nur gefoppt, gegenseitig angestachelt oder uns lauthals gestritten.
Wir führten wortwörtlich eine Hass-Liebes-Beziehung und das hier war eine
Wendung von 180 Grad.
„Wie meinst du das?“
„Genau wie ich’s gesagt habe“,
grinste er und drückte mich an sich, „du hattest einen Traum in einem Traum gehabt.
Das, was du jetzt siehst, ist nicht real.“
Wie wahr seine Worten doch
waren; nie im Leben würden wir uns in der wirklichen Welt wieder über den Weg laufen
und normal miteinander reden. Vor allem war eine solche Zärtlichkeit nur in
einem Traum möglich.
„Bleib bei mir“, mein Schwarm
nahm meine Hand und sah mir tief in die Augen, „in dieser Welt kannst du alles
machen, was du willst. Niemand wird dir irgendwas verbieten können. Vor allem
können wir hier für immer zusammen sein.“
Das stimmt. In der Realität
würden wir nie so vernünftig miteinander reden können, von einem möglichen
Treffen möchte ich gar nicht erst anfangen. Die Verlockung, für alle Ewigkeit
zu träumen, klang daher gar nicht schlecht.
„Was sagst du? Wirst du in
dieser Welt bleiben?“
„Ja, für immer.“
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